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In_formalität und Stadt – globale Trends, lokale Dynamiken

Organisation
Univ.-Prof. Dr. Martin Coy
Arbeitsgruppe Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsforschung
Institut für Geographie
Universität Innsbruck

Seit der “Entdeckung“ des informellen Sektors in den 1970er Jahren ist das Thema der Informalität städtischer Gesellschaften nie aus den wissenschaftlichen und politischen Diskussionen verschwunden. Die Vorstellungen, was Reichweite, Ursachen, Funktions-weise und Konzeptualisierung des Begriffs angeht, haben sich dabei jedoch gewandelt. Informalität ist weder ein kurzfristiges Übergangsstadium noch ein Charakteristikum traditioneller Volkswirtschaften, sie ist vielmehr Teil des auf Wachstum und globaler Integration basierenden neoliberalen Systems und durchzieht alle Maßstabsebenen und Lebensbereiche. Zieht man die Zahlen zur schwer fassbaren informellen Wirtschaft in den Ländern des Südens heran, wird klar, dass sie keinesfalls als marginaler Bereich, sondern als Grundlage der Gesamtökonomie angesehen werden muss.

Die empirische Beschäftigung mit Informalität auf allen Ebenen und in allen Weltregionen hat zur Ablösung der dualistischen Vorstellung von einer formellen und einer informellen Sphäre der Gesellschaft geführt. An ihrer Stelle steht heute die Idee fließender Übergänge auf einem Kontinuum zwischen den beiden Polen Formalität und Informalität. Ebenso verhält es sich mit den immer weniger klaren Grenzen der politischen Ebenen (von inter-national bis lokal). Die eindimensionale Vorstellung von Gesellschaft zwischen formell und informell sowie legal und illegal wird abgelöst durch mehrschichtige Verschränkungen von Akteuren, Institutionen und Prozessen. Daher sind Fragen der Informalität immer auch Fragen von Beziehungen, sozialen Netzwerken sowie wechselnden Kräfteverhältnissen.

Die Gleichsetzung von informell mit unvollkommen und außerhalb des staatlichen Regel-systems befindlich greift zu kurz und verkennt die Allgegenwart informeller Prozesse und ihrer vielfältigen Funktionen. Neben den im globalen Weltsystem eingebundenen in-formellen Wirtschaftsbereichen und wirksamen informellen Arrangements sind es auch die lokal entstehenden alternativen Ansätze des Wirtschaftens und Zusammenlebens im Bereich der sogenannten Solidaritätsökonomie, die unter dem Dach der Informalität gefasst werden können. Was dabei jeweils als legitim und anerkannt gilt, ist von den im räumlichen und zeitlichen Kontext verankerten Moralvorstellungen und Bewertungen abhängig und einer differenzierten Betrachtung zu unterziehen.

In den Städten des Südens, wo globale und globalisierte Akteure und Phänomene auf lokal verankerte bzw. historisch bedingte Interaktionsformen und teils nur schwache Steuerungsmechanismen treffen, wird der Stadtraum sowohl zum Rahmen als auch zum Aus-druck der unterschiedlichen Erscheinungen von Informalität. Segregation und soziale Un-gleichheit, (Un)Sicherheit, Zugang zu und Schutz von natürlichen Ressourcen sind nur einige der in dieser Hinsicht im Spannungsfeld von Stadtentwicklung, Globalisierung und Informalität stehenden Problembereichen.

Der umfassende jedoch umstrittene Einsatzbereich des Konzepts macht den Reiz und gleichzeitig die Problematik aus, was die theoretische Klarheit und methodische Um-setzung angeht. Die aktuelle geographische Beschäftigung mit Informalität in den Städten des Südens ist weit gefächert. Das vierte Arbeitskreistreffen will den Versuch unter-nehmen, die in Lateinamerika, Afrika und Asien sehr unterschiedlichen Formen und Kontexte von Informalität – in Städten aller Größen – aufzuzeigen und Raum zu ihrer Gegenüberstellung zu schaffen. Neben den lokalspezifischen Beispielen können genauso theoretische und methodische Fragen der Konzeptualisierung des so umfassend ein-gesetzten Begriffs Informalität angesprochen werden.

Vor diesem Hintergrund sind die folgenden Themenbereiche besonders interessant:

Informelle ‚Stadtproduktion’
Informelle Wirtschaft Livelihoods Informelle ‚Verhältnisse’ Stadtplanung und Stadtpolitiken